Diese Autorin nimmt sich Zeit, viel Zeit! Kein Thriller-Quickie also, dafür das ausgeklügelte, hochspannende und fein gesponnene Netz einer Geschichte, die zu verschlingen sich lohnt. Die auch vor lauter fesselnden Momenten und immer neuen Aspekten so fasziniert, dass man die eigentlich unglaubliche Abenteuerlichkeit der Handlung letztlich doch nicht infrage stellt. Warum? Man kommt einfach nicht dazu.|Es geht um Vieles: um Moralvorstellungen, um Vorurteile und Toleranz, um Frauen, Glauben und natürlich die Liebe. Naomi, eine junge, engagierte Frau findet eines Morgens beim Joggen ein totes Baby im Fluss, bringt es zur Polizei. Gerüchte, Gerede, Geklatsche verdichten sich in dem kleinen Ort schnell zu einhelligem Urteil: dafür kann nur Heather Pratt, 21 Jahre, alleinerziehende Mutter und irgendwie sowieso immer schon eine Außenseiterin, als Mörderin infrage kommen. Außerdem hat sie eine Beziehung zu einem verheirateten Mann, und nicht nur das -- "Sittenlos", "liderlich", eine "Schlampe", eine "Hure" eben. Während der Hexenkessel in dem kleinen Ort brodelt, dort, wo jeder jeden kennt, dort, wo Urteile auf moralischen Vorurteilen basieren, andere Regeln gelten als sonstwo, gesteht Heather schließlich den Mord. Naomi schaltet die Anwältin Judith ein.|Jean Hanff, die mit|Die Schattenjury|eine ähnlich verrückte, aber einfach hinreißende Geschichte hinlegte, stellt mit großem Einfühlungsvermögen drei ganz unterschiedliche Frauen in den Vordergrund, lenkt mit psychologischem Händchen überzeugend durch immerhin 600 Seiten und schafft es, auch eine bis kurz vor Ende des Buches nicht zu erahnende Wendung der Geschichte doch logisch erscheinen zu lassen. Wie sagt die Anwältin vor Gericht: "Überall sonst wäre das vielleicht eine Komödie. Aber hier ist es eine Tragödie". Verdrehte Welt, verrückte Fiktion? Sicher, aber unausrottbare Spuren gibt es jeden Tag auch in der Realität.|--Barbara Wegmann