In diesem Buch wird das vielschichtige Phänomen Mutterschaft aus einem besonderen Blickwinkel betrachtet, indem die biologische, als ¿natürlich¿ angesehene Einheit von Gebären und Aufziehen aufgegeben wird. Gegenstand dieser ideologiekritischen Analyse sind zweierlei Mütter: diejenigen, die ein Kind zur Welt bringen, aber nicht selbst großziehen und jene, die ein Kind aufziehen, das sie nicht selbst geboren haben. Dabei wird sowohl die biologische als auch die soziale Mutterschaft unter drei zentrale Perspektiven gestellt. Ein Schwerpunkt des verhaltensbiologischen Teils liegt auf dem Weg von den Tierprimaten über die hominiden Vorformen bis hin zum Homo Sapiens. Es wird nachgezeichnet, was diese Entwicklung für die Mutter-Kind-Einheit und für die Trennung von Gebären und Aufziehen bedeutet.
Im historischen Teil werden die Adoptionsgesetze im antiken Rom einer gründlichen Analyse unterzogen, da sie im neuzeitlichen Europa vielfach als Grundlage für das Adoptionsrecht gedient haben.
Im völkerkundlichen Teil werden verschiedene Traditionen des Mutter-Kind-Verhältnisses betrachtet.
Am Ende steht als krassestes Beispiel einer Trennung von Gebären und Aufziehen der Adoptionsvorgang.
Das besondere Augenmerk gilt jeweils dem ubiquitären Mythos der Blutsbande, der gleichsam als unhinterfragter zusätzlicher Faktor für unnötige Verwirrung sorgt. Gerade angesichts der wachsenden Zahl sogenannter ¿Patchworkfamilien¿ kommt dieser kritischen Analyse eine hohe Relevanz zu.
Einleitung
I. Zur Ambivalenz von Mutterschaft heute
1. Mutterschaftsdiskurse
1.1 Der biologische Diskurs
1.2 Der existentielle Diskurs
1.3 Der ökonomische Diskurs
1.4 Der sozialökologische Diskurs
1.5 Der ideologische Diskurs
1.6 Der ethisch-moralische Diskurs
2. Mutterschaft ¿gegen den Strich¿ betrachtet: zur Trennung von Gebären und Aufziehen
2.1 Mütter, die weggehen
2.2 Mütter, die ihr Kind weggeben
2.3 Mütter, die ein nicht-leibliches Kind annehmen
II. Stammesgeschichtliche Aspekte des Abgebens
1. Brutpflege bei Tieren
1.1 Variationen in der Brutpflege
1.2 Mechanismen bei der Brutpflege
1.3 Nicht-elterliche Brutpflege
2. Kinderaufzucht bei Primaten
2.1 Begrifflichkeiten und Charakteristika von Primaten
2.2 Mutter und Kind
2.3 Fremdpflege
2.4 Die Aufzucht von Kindern im Sozialgefüge der Primaten
3. Kinderaufzucht bei Hominiden
3.1 Von den Tierprimaten zum Homo sapiens
3.2 Exkurs: Zum Unterschied zwischen Menschenaffen und Menschen und zur menschlichen Natur
3.3 Kinderversorgung bei den Hominiden
3.4 Fremdpflege bei den Hominiden
3.5 Die Aufzucht von Kindern im Sozialgefüge der Hominiden
4. Kinderaufzucht bei Homo sapiens
4.1 Besonderheiten im Vergleich zu anderen Hominiden
4.2 Mutter und Kind
4.3 Fremdpflege bei Homo sapiens
4.4 Kinderbetreuung im menschlichen Sozialgefüge
4.5 Zur Bedeutung von ¿Blutsbanden¿
4.6 Das Konstrukt Mutterliebe
5. Fazit
III. Historische Aspekte des Abgebens und Annehmens von Kindern
1. Frauengeschichte: eine neue Sichtweise unserer Vergangenheit
1.1 Geschichte der Frauen unter dem Aspekt von Gebären und Aufziehen
1.2 Zur Trennung zwischen Gebären und Aufziehen
2. Kurzer Abriss von der Frühzeit der Menschheit bis heute
2.1 Zwischen ¿Menschwerdung¿ und Antike
2.2 Erste Hochkulturen im Nahen Osten
2.3 Griechische und römische Antike
2.4 Europa zwischen Antike und Mittelalter
2.5 Das Mittelalter
2.6 Die Neuzeit
3. Fazit
IV. Völkerkundliche Aspekte des Abgebens und Annehmens von Kindern
1. Vorbemerkung zum Methodenproblem in der Ethnologie
2. Zur Bedeutung von Verwandtschaft in der Ethnologie
2.1 Verwandtschaft durch Abstammung (Konsanguinität)
2.2 Weitere Verwandtschaft
2.3 Verwandtschaft und Familie
2.4 Verwandtschaft als wichtiges soziales Netz
3. Ausgewählte Beispiele
3.1 Verteilte Kinderbetreuung, Pflege und Adoption auf Samoa
3.2 Die kinderfreundlichen !Kung-San Buschleute in Südwestafrika
3.3 Aufzucht im Kollektiv: die Kibbuzim in Israel
4. Fazit
V. Die Trennung von Gebären und Aufziehen ¿ zur Demontage des Mythos der Blutsbande am Beispiel Adoption
1. Adoption als ¿soziale Transaktion¿
2. Adoptionen hier und heute
3. Die Forschungslage seit 1977
3.1 Empirische Adoptionsforschung allgemein
3.2 Untersuchungen zu den abgebenden Müttern
3.3 Untersuchungen zu den Adoptivmüttern
4. Adoption als Geben und Nehmen: Wo liegt das Problem?
4.1 Fehlen der genealogischen Verortung
4.2 Unglück als Ausgangssituation
4.3 Biografiebeginn im Dunkeln
4.4 Familiengeheimnisse
4.5 Doppelbindungen
4.6 Soziales Gefälle
5. Die zentralen weiblichen Figuren und ihre gegenseitigen Einstellungen
5.1 Die abgebende Mutter zwischen Dankbarkeit und Neid
5.2 Die annehmende Mutter zwischen Sympathie und Ressentiment
5.3 Zusammenschau
5.4 Überraschung und Erschrecken: erste Kontaktaufnahmen zur Adoptivmutter
6. Offene Adoption als Problemlösung?
6.1 Argumente PRO offene Adoption
6.2 Argumente KONTRA offene Adoption
6.3 Zusammenfassende Bewertung
7. Zur Ethik von Adoptionen
7.1 Kindeswohl ¿ ein nützliches Konzept?
7.2 Inkohärenz gesetzlicher Grundlagen
8. Adoption und der Mythos der Blutsbande
8.1 Adoptionsvorgänge als ¿Stachel im Fleische¿
8.2 Entmythologisierung und die Zukunft von Adoptionen
8.3 Statt Fazit: ¿Das hässliche junge Entlein¿ und ¿Der Findefuchs¿
Ausblick
Literatur